Tiefe Löcher

Autor
Oberst i. G. Horst Wiesinger

KochertalbrückeEnde der siebziger Jahre war die Panzerpionierkompanie 300 selten zuhause. Regelmäßig wurden sämtliche Truppenübungsplätze Süddeutschlands aufgesucht (bevorzugt in den Wintermonaten) oder man trieb sich im Kochertal (beliebtes Spielfeld für Sprengschachtanlagen, Minensperren und Brückensprengungen) oder auf Heeresübungen herum. Damals war der Zugführer III. Zug, Hauptfeldwebel Walter Kopetz, auch viel damit beschäftigt, irgendwelche Schornsteine von alten Ziegeleien dem Erdboden gleich zu machen. Der Einzige, der von der ganzen schwarzen Kunst nicht richtig überzeugt war, war der stellvertretende Brigadekommandeur und Kommandeur der Brigadeeinheiten, Oberst Kösling, ein Panzermann. Zwar hatte er die rauschebarttragenden Pionierzugführer schwer in sein Herz geschlossen, glaubte aber doch im Innersten nicht so ganz an die Sperrwirkung, die wir mit unseren Panzerabwehrminen erzielen konnten.

DM 21Dieser Ungläubigkeit musste abgeholfen werden und Walter Kopetz fand im Rahmen eines Belehrungssprengens auf dem Truppenübungsplatz Münsingen auch die passende Gelegenheit dazu. Er war nicht nur dafür bekannt, dass er mit den Sprengladungen sozusagen Musik machen konnte (ich werde die Anblicke nie vergessen, wenn er mit seinem Nagelbrett im Unterstand auf dem Sprengplatz stand und mit geradezu hingebungsvoller Liebe verschieden tief eingegrabene Sprengladungen zur Detonation brachte), sondern auch, dass er die überzeugendsten Darstellungen der Sprengmittel zu bieten hatte. An jenem besagten Wintertag wollte er ein für alle mal die Diskussion darüber beenden, ob ein Kampfpanzer Leopard noch weiterfährt, wenn er auf eine Panzerabwehrmine aufgefahren ist. Also ließ er, selbstverständlich ohne Wissen der zuständigen Übungsplatzkommandantur und des Feuerwerkers, sechs Panzerabwehrminen Deckel an Deckel in ein großes Loch eingraben, wobei er als erfahrener Sprengmeister natürlich die Detonatoren nicht einsetzte. Die hatte Walter Kopetz sozusagen immer am Mann in der großen Tasche seines Feldparkas. Das Ganze garnierte er dann mit einer siebten Panzerabwehrmine, die geradezu unschuldig als oberste Mine sichtbar auf der Erde lag und die unter ihr ruhende „geballte Ladung“ hervorragend tarnte. Bei der Einweisung der Teilnehmer am Belehrungssprengen ließ er es sich nicht nehmen, auch den anwesenden Oberst Kösling auf die Wirkung einer Panzerabwehrmine hinzuweisen. „Sie werden sehen, Herr Oberst“, sagte er, „dass diese Mine ein so beeindruckendes Loch macht, dass kein Panzerkommandant da mehr ohne Probleme hindurch fahren wird.“ Oberst Kösling, als gewachsener Panzermann, antwortete sinngemäß, dass es keine Löcher gäbe, die ein deutscher Pionier macht, wo der Stolz der deutschen Panzertruppe, nämlich der Kampfpanzer Leopard, nicht mehr hindurchfahren würde.

LeopardNachdem der Sicherheitsbereich geräumt war, zündete Hauptfeldwebel Kopetz erst alle anderen für das Belehrungssprengen aufgebauten Stationen, um dann quasi zum großen Finale anzuheben, der Detonation von fast 50 kg TNT. Man muss es ja wohl nicht weiter erwähnen, dass der Unterstand auf dem Sprengplatz selten so gewackelt hat wie in diesem Moment und gefrorene Erdklumpen noch dort einschlugen, wo sich normalerweise der Kraftfahrzeug-Abstellplatz für den Sprengplatz befand. Mit sich und seinem Werk zufrieden, verließ Walter Kopetz den Unterstand und ging nach vorne, um sich davon zu überzeugen, dass alle Ladungen detoniert waren. Ich folgte ihm und konnte ihn, obwohl es sich um eine ebene Fläche auf der Schwäbischen Alb handelte, nicht mehr im Gelände wiedererkennen. Ich hörte nur seine Stimme, die zu mir aus der Erde rief „Da wird der alte Kösling Augen machen“ und ging noch ein paar Schritte in Richtung der Stimme. Das Erdreich wurde weicher, ich versank bis über die Knöchel im lockeren aufgeworfenen kargen Boden der Schwäbischen Alb und schaute in ein gigantisches Loch, das von einem Meteoriteneinschlag hätte herrühren können. Dort unten an der tiefsten Stelle des Sprengtrichters, der mindestens 3,50 m tief war, stand Walter Kopetz mit dem breitesten Grinsen im Gesicht, das ich jemals gesehen habe, zog durch ein Schnüffeln den letzten Pulverdampf der Sprengung ein und sagte immer wieder laut vor sich hin: „Da wird der alte Kösling Augen machen.“

Nachdem er wieder auf den Trichterrand heraufgeklettert war, klopfte er sich das Erdreich aus den Hosenbeinen und sagte zu mir: „Jetzt kannst du die Truppe holen und ich erläutere den Erfolg beim Sprengen.“ Alle Teilnehmer wurden an den einzelnen Sprengstationen entlang geführt, Walter Kopetz erläuterte den jeweils beabsichtigten Sprengeffekt und kam so nun endlich an der letzten Station, der sogenannten flach aufgelegten Panzerabwehrmine, an. Ich sehe noch, wie die Augen des stellvertretenden Brigadekommandeurs aus den Höhlen traten, sich der Mund leicht öffnete und ansonsten sein gesamter Körper in eine Art schockbedingten Stand-By-Zustand übergegangen ist. Walter machte eine großzügige Geste mit der rechten Hand und sagte an den Kommandeur der Brigadeeinheiten gewandt: „Hier sehen Sie, Herr Oberst, was eine Panzermine ausrichten kann. Wenn Sie sich vorstellen, dass wir in den Straßensprengschachtanlagen bis zu 1.500 kg TNT versenken, wächst dort kein Gras mehr im Umkreis von 50 m.“ Für einen Panzermann völlig ungewohnt musste Oberst Kösling zugestehen, dass hier wohl kein Leopard mehr durchfahren würde und stellte sich vor seinem geistigen Auge offensichtlich vor, was von dem Leopard und seiner Besatzung übergeblieben wäre, wenn dieser auf diese einzelne Panzerabwehrmine aufgefahren wäre.

Auch unser Kompaniechef, der damalige Hauptmann Hocke, war sehr beeindruckt, ahnte aber sofort, das Walter Kopetz hier ein bisschen beim Effekt des Sprengens nachgeholfen hatte. Stolz darauf, dass seine Crew es mal wieder geschafft hatte, bleibenden Eindruck zu hinterlassen, billigte er mit einem verschwörerischen Lachen die Aktion im Nachgang. Es wäre auch alles gut gegangen, hätte nicht der Kompaniechef der Panzerjägerkompanie, der damalige Hauptmann Matyschock, den man inzwischen auch eingeweiht hatte, beim Herrenabend auf dem Übungsplatz nach Genuss von etlichen harten Getränken nicht den stellvertretenden Brigadekommandeur über die Aktion eingeweiht. Natürlich weiß man nicht, was so genau besprochen worden ist zwischen Hauptmann Hocke und Oberst Kösling, Fakt ist aber, dass die Panzerpionierkompanie 300 lange Zeit wieder ganz brav sein musste, bis der stellvertretende Brigadekommandeur nochmals vollstes Vertrauen zu uns gefasst hatte.

Dies ist eine kleine Episode aus dem Leben der rauschebarttragenden Führer der Panzerpionierkompanie 300 aus jenen Tagen. Viele ließen sich anschließen, das Meiste ist in der Zwischenzeit glücklicherweise verjährt, lach.