Eingefroren

Autor
Oberst i. G. Horst Wiesinger

KochertalbrückeAn anderer Stelle hatte ich schon über das liebliche Kochertal gesprochen, an dessen steilen Berghängen die Wallmeister mit glänzenden Augen unzählig viele Straßensprengschachtanlagen installiert hatten. Diese bestückten wir nach Vorgabe unseres Kompaniechefs Reinhold Hocke im Rahmen der Übung DRACHENSAAT mit den Käseladungen 25 kg. Als damaliger Zugführer II. Zug teilte ich meine Gruppen auf, so dass wir an mehreren Sperrstellen gleichzeitig arbeiten konnten. Nachdem bei der ersten Gruppe, bei der ich mich länger aufgehalten hatte, das Laden und Herstellen der Zündverbindungen abgeschlossen war, fuhr ich ein paar Kilometer weiter, wo ich auf die zweite Pioniergruppe traf. Erst war ich glücklich und zufrieden, weil ich sah, dass die Gruppe sich schon wieder an den Fahrzeugen aufhielt, bis ich zu meiner Verblüffung feststellen musste, dass viele Käseladungen noch hangseitig an der Straße eingestapelt waren. Mitten auf der Straße stand mit einem Bockholzschlegel bewaffnet der Gruppenführer, dessen Namen ich hier verschweigen möchte, der aus voller Leibeskraft und laut vor sich hinfluchend in einem glühend rötlich schimmernden Umfeld stand und immer wieder auf den Deckel des Sprengschachtes einschlug. Neben dem dumpfen Schlagen rollten unendlich die Sprüche wie : „Du Scheiß-Ding – du verfl...... Deckel – ich hau dich zu Klump und wenn ich 200 g Schlagladung auf dich legen muss, dich krieg ich auf.“

Sprengschacht zuIrritiert darüber, was für ein Schauspiel ich gerade erleben durfte, ging ich zu dem Gruppenführer und fragte, wo denn das Problem läge. Da es wieder einmal mitten in der Nacht war (da arbeiteten wir Pioniere am liebsten, weil wenig Straßenverkehr und Dienstaufsicht war), erkannte mich der Gruppenführer auch erst sehr spät und meldete mir nach Fassung ringend: „Herr Oberfähnrich, Herr Oberfähnrich, der Scheiß-Deckel vom Straßensprengschacht ist eingefroren, wir kriegen das Scheiß-Ding nicht auf. Die anderen Schächte haben wir schon geladen.“ „Was haben Sie denn bisher alles unternommen?“, fragte ich den jungen Gruppenführer, der vor Schweiß dampfend (Bockholzschlegel schlagen ist richtig harte Pionierarbeit!) mitten auf der Kreisstraße im Kochertal stand. „Erst habe ich mit dem Fuß ein bisschen dar-an getippt, dann mit dem Schlegel drauf geschlagen und als sich der Deckel immer noch nicht mit dem dafür vorgesehenen Tragegriffen aus seiner Verankerung heben ließ, habe ich gute drei Liter vom Moppelsprit (für nicht mehr so Eingeweihte, das war unser Stromaggregatmischung 1:25) in den äußeren Metallring gegossen und danach angezündet. Das wurde zwar richtig heiß, aber immer noch scheint das Scheiß-Ding eingefroren zu sein.“

Sprengschacht offenBeeindruckt von den zielgerichteten Aktivitäten meines Gruppenführers und der daraus abzuleitenden Kreativität zum Überwinden von Einfrierungen beugte ich mich mit meiner Taschenlampe über den Deckel und leuchtete in die Löcher der Verschlusskappen, die zuerst entfernt werden mussten, um an die Kontermuttern der inneren Traverse der Sprengschachtdeckel zu gelangen. Und siehe da, die Muttern waren noch an Ort und Stelle, d.h. der Sprengschachtdeckel war mit der ihn haltenden Traverse immer noch fest verschraubt. Ich ließ mir den für die Muttern passenden großen Steckschlüssel geben, drehte mit einem kurzen Ruck beide Muttern locker und ließ, nachdem die Muttern völlig entfernt waren, von zwei Pionieren den Deckel mühelos aus der Verankerung nehmen. Fassungslos stand der Gruppenführer neben mir, um eine Antwort verlegen und ich konnte ihn nur damit trösten, dass so etwas schon mal passieren kann – am dritten Übungstage zur späten Stunde. Ein eingeteilter Soldat hatte zwar die Verschlusskappen geöffnet, aber nicht die darunter liegenden Kontermuttern entfernt. Der Gruppenführer zündete sich daraufhin eine Zigarette an, machte einen langen inhalierenden Atemzug und schnippte die noch glimmende Zigarettenkippe (wir Pioniere achten immer auf Sauberkeit am Arbeitsplatz) mit einer eleganten Bewegung in den nun offen vor uns liegenden Straßensprengschacht. Das hätte er mal besser nicht tun sollen! Offensichtlich war nicht der ganze Moppelsprit verbrannt gewesen sondern hatte sich an den Schachtwänden entlang optimal im Straßensprengschacht verteilt und ein hochexplosives Gemisch gebildet. Dieses bedurfte nur der Zündung. Und hier, wie Sie sicher ahnen, reichte die Kippe des Gruppenführers aus, um ihm und mir, sowie den umstehenden Pionieren, ein kleines Knalltrauma zu verschaffen, als sich der Sprengschacht vulkanartig mit einer großen Detonation von dem nun explodierenden Moppelsprit befreite.

Der Gruppenführer hat nie wieder in seinem Leben vergessen, die Kontermuttern der Traversen in Sprengschächten zu lösen, besonders nicht an den Sprengschächten auf der Verbindungsstraße im Technischen Bereich im Ellwangen, wo wir während der § 78 BHO-Überprüfungen immer unsere „Schwarzbestände“ einlagerten. Aber das ist eine andere Geschichte, wieder mal verjährt, lach!