Eine unglaubliche Geschichte

Autor
Roland Schmid

Sie ereignete sich an einem Fastnachtwochenende Anfang/Mitte der 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Die jungen Panzerpioniere der PzPiKp 300 auf der Stube (die Nr. ist mir leider entfallen) haben sich nach Dienstschluss in Zivil stadtfein gemacht und melden sich beim UvD um ihren Nachtausgang anzutreten. Dies ging nicht ganz reibungslos, denn vor der gnädigst erlaubten Abmeldung musste jeder Einzelne seine Fertigkeiten auf dem Gebiet „Knoten und Bunde“ unter Beweis stellen.

Die nächste Hürde die zu überwinden war, zeigte sich in Gestalt der Torwache der (damaligen) Mühlbergkaserne. Wurde die Wache vom PzGrenBtl 302 gestellt, hatten es Panzerpioniere nicht leicht sie ohne Verzögerungen und „Nicklichkeiten“ zu passieren. Neben Ausweis und Nachtausgangskarte wurde oft auch nach dem Mitführen von Kamm und Taschentuch gefragt, der Haarschnitt und die Rasur überprüft, und das Tragen einer gutbürgerlichen Zivilkleidung begutachtet.

Endlich konnte man sich in das „närrische“ Nachtleben von Ellwangen stürzen. Unter Vermeidung von Lokalen mit schon anwesenden und zahlenmäßig überlegenen Angehörigen des o.a. Bataillon zog man durch die Stadt, besuchte mehrere Wirtshäuser und vergnügte sich bei Tanz, Flirt und Unterhaltung.

Kurz vor Ablauf des Zapfenstreiches und schon ziemlich angeschlagen, machte man sich auf den Rückmarsch, um kurz vor der Kaserne – wie üblich - in einem kleinen Lokal einen letzten Halt für ein letztes Bier einzulegen. Dort gesellte sich eine junge Frau zur Runde am Tisch und erzählte nach und nach und unter Tränen, dass sie verzweifelt sei und nicht mehr weiter wüsste. Sie sei fremd hier, ihr Freund habe sie nach einem Streit verlassen und sie ohne Geld in der Stadt aus dem Auto geworfen.

Es kam wie es kommen musste. Die jungen, unerfahrenen und schon lange nicht mehr nüchternen Pioniere bekamen Mitleid und waren bereit der Frau zu helfen. Zimmer waren aber keine mehr zu bekommen und zum Schreck stellten sie zudem fest, dass zwischenzeitlich der Zapfenstreich überschritten war.

Mit Nachsicht bei der Torwache (PzGren !) war nicht zu rechnen. Nach kurzer Beratung stand der Entschluss fest: Man(n) wollte es zu versuchen eine Bestrafung wegen der Zapfenstreichüberschreitung zu vermeiden und der jungen Frau zu helfen.

Unweit des Kompaniegebäudes überwanden die Panzerpioniere unbemerkt und – wie gelernt - mit ihrem „Gast“ die Sperre Kasernenzaun. In tiefer Gangart gelangten sie vor das Kp-Gebäude. Das nächste Hindernis, ein beleuchtetes UvD-Zimmer mit Innenfenster zum Flur – wurde auf dem Bauch robbend umgangen. Auf der Stube angekommen stand das nächste, vorher nicht bedachte Problem an: 4 schmale Doppelstockbetten und 5 Personen…. -….auch waren jetzt die genagelten Stiefel des GvD im Erdgeschoss zu hören.
Schnell wurde der Gast in einen der Spinde eingeschlossen, das Licht gelöscht und alle verschwanden in voller Kleidung bis zum Kinn unter den Wolldecken der Betten. Der GvD öffnete kurz die Stubentür, stellte die vollständige Anwesenheit der Stubenbelegschaft fest und fuhr mit seinem Rundgang fort. Die überstandenen Gefahren, Spannungsabfall, Müdigkeit und noch immer hoher Alkoholspiegel sorgten dafür, dass die Nacht relativ ruhig und ohne große Vorkommnisse verlief.

Die Trillerpfeife und die extrem laute Aufforderung „Kompanie aufstehen“ brachte unsere jungen Pioniere brutal zurück in die nüchterne Welt und die Erkenntnis, in welcher fatalen Situation sie sich befanden. Schnell wurde die junge Frau wieder in ihren Spind gesperrt und dem UvD „Alles auf und gesund“ gemeldet.

Nach Revierreinigen und Frühstück stand an diesem Tag wegen Fastnacht nur ein Handballspiel unserer Kompanie gegen eine Mannschaft der 302- er in der Sporthalle auf dem Dienstplan. Die erwähnte Stubenbelegschaft war mit dem Rest der Kompanie als Zuschauer zur lautstarken Unterstützung eingeteilt. Unbemerkt verließ einer die Sporthalle und befreite im leeren Kp-Gebäude die junge Frau aus dem Spind, in dem sie zwischen Bekleidungsstücken, Schuhen und dem Gewehr G3 auf einem umgestülpten Wassereimer sitzend, ausgeharrt hatte und nun endlich Waschraum und Toilette aufsuchen konnte.

Das Spielende war auch gleichzeitig das Dienstende an diesem Tag.

Ein neues Problem stand an. Wie kommt der Gast unbemerkt aus der Kaserne ?

Nach intensiven Appellen an Kameradschaft, Pioniergeist und durch Inaussichtstellung von flüssigem Lohn erklärte sich ein älterer, vorher ausgesuchter Kamerad - weil einer der damals wenigen Autobesitzer - bereit, die jungen Pioniere und ihren Gast (im Kofferraum) aus der Kaserne zu fahren.

E s     h a t     g e k l a p p t

In der Nähe des Bahnhofes verabschiedeten sie sich von der jungen Frau und mit dem zusammengelegten Geld konnte sie sich eine Fahrkarte kaufen.

Die Geschichte wäre damit zu Ende – aber es gibt noch ein „Nachspiel“

Nach und nach sickerten Teile der Aktion auf dem Obergefreitendienstweg durch und Gerüchte verbreiteten sich. Bei einem Stubendurchgang betrat ungewohnterweise auch der Spieß die besagte Stube. Er schnüffelte in der Luft, lüftete die eine oder andere Wolldecke und bemerkte: „Hier riecht es irgendwie nach Puff“ Mienenspiel und Tonart signalisierten Kenntnis der Sache aber auch unverhohlene Anerkennung.

Einige Tage später wurde die besagte junge Frau von der Polizei aufgegriffen. Sie war vor Wochen von zu Hause ausgerissen und wurde wegen verschiedener Eigentumsdelikte gesucht. Im Laufe der Ermittlungen hatte sie angegeben u.a. in der Mühlbergkaserne übernachtet zu haben. Da dies unglaubhaft erschien wurde nachgeforscht und die Stubenbelegschaft erhielt an einem Wochenende - kein Kp-Führungspersonal vor Ort - den Besuch eines Polizeibeamten in Begleitung einer ortskundigen Feldjägerstreife. Die Angaben der jungen Frau wurden von der Stubengemeinschaft bestätigt. Der Polizeibeamte machte sich Notizen und verabschiedete sich.

Das war es dann wirklich!

Anker wirf

Nachwort: Es gab auch nach dem Polizei/FJg-Besuch keine Nachfragen, Vernehmungen oder disziplinare Würdigungen gegen die offensichtlichen Beteiligten. Auch wurde keiner irgendwelchen Sanktionen ausgesetzt. Im Gegenteil war eher klammheimliche Freude über den gelungen Coup der jungen Pioniere zu spüren.Ermöglich hat dies m.E. die außerordentliche Kameradschaft und das damals besondere Zusammengehörigkeitsgefühl speziell in dieser einmaligen Kompanie.